Ankunft
„Eines Morgens ist das andere da, das wirkliche, wache, bis zum Zerspringen spröde, durchaus nicht erträumte: das mitten im Nichts auf versenkten Wäldern gewollte, erzwungene und endlich so durch und durch vorhandene Venedig.“ (Rainer Maria Rilke)
Ich fliege gerne, und am liebsten komme ich mit dem Flugzeug an. Venedig hat einen schönen, modernen Flughafen, der direkt an der Lagune liegt, so nahe, dass man sich wundert, dass er nicht ebenfalls regelmäßig vom Hochwasser überschwemmt wird. Seitdem die großen Golfcarrier die Lagunenstadt täglich mit der ganzen Welt verbinden, platzt der kleine Flughafen aus den Nähten. Hinzu kommen die easyJets, Voloteas und Ryanairs mit den Billigtouristen aus England, Frankreich oder Süditalien. Wenn man wie ich mit einer Lufthansa- oder Alitalia-Maschine ankommt, fühlt man sich einer immer kleiner werdenden Minderheit zugehörig.
Der beste Platz im Flugzeug ist zweifellos rechts am Fenster auf den Sitzen mit dem Buchstaben F. Die Maschine landet üblicherweise von Westen kommend, dreht über Mestre ein, Venedigs Nachbarstadt auf dem Festland, sinkt über deren Hafen auf wenige hundert Fuß, um langsam die Küstenlinie entlangzuschweben. Der Flughafen wurde nach Marco Polo benannt, dem berühmten venezianischen Kaufmann, Weltreisenden und Entdecker, und soll den Duft der großen weiten Welt lebendig werden lassen, der Venedig noch immer anhaftet.
Wenn Sie es sich aussuchen können, sollten Sie in der Abenddämmerung landen. Man fliegt dann in geringer Höhe an Venedig vorbei, das zur Rechten im dunkler werdenden Wasser der Lagune zu versinken scheint. Der gelbe, fast orangene Schein der ersten Laternen nistet sich zwischen den schwarzblauen Umrissen der Häuser ein, kleine Feuer, die wie bunte Blumen nach und nach durch das Gestein brechen und die aufkommende Nacht erhellen. Dazwischen die Schatten der Basiliken, rund wie die Rücken von Tieren, und die Kirchtürme, die sich spitz und stolz in den grauer werdenden Himmel recken. Die Lagune glänzt im letzten Licht des Tages, die Leuchtmarkierungen auf den Dalben der Fahrtrinnen verwandeln sie in ein geheimnisvolles Schnittmuster, schneiden Schneisen ins Wasser und führen dennoch nirgendwo hin. Ein erster Blick auf die Stadt, den Sie nicht vergessen werden.
John Ruskin kam im Herbst 1848 dagegen standesgemäß mit einer Gondel an. Sie brauchte vermutlich fast eine Stunde, um die vier Kilometer vom Festland in die Stadt zurückzulegen. Er hasste die drei Jahre zuvor erbaute Eisenbahnbrücke, mit der die Reisenden zwischenzeitlich in wenigen Minuten in die Stadt einfielen, und sah sie als einen ersten Schritt zur Zerstörung des historischen Venedigs an.
Die Eisenbahnbrücke beendete abrupt ein Inseldasein, das seit der Gründung Venedigs am 25. März 421 mehr als 1400 Jahre Bestand gehabt hatte, ein mehr oder weniger willkürlich gewähltes Datum, denn es gibt kein einzelnes Ereignis, das diese genaue Datierung rechtfertigen könnte.
Es waren Flüchtlinge, die die Lagune im fünften und sechsten Jahrhundert besiedelten. Sie flohen vor den Westgoten, vor den Hunnen, später vor den Langobarden. Und es waren diese vier Kilometer, die sie vom Festland trennten, die ihnen den Schutz gewährten, den sie suchten. In der Lagune verloren sich zahllose Inseln und Sandbänke, ein undurchdringliches Dickicht, das Verfolger und Eroberer abschreckte, zumal es in deren Wasser außer Fisch nichts zu holen gab.
So war Venedig nicht umsonst eine Insel, eine Gruppe von natürlichen und künstlichen Eilanden. Ihr Inseldasein war der Grund, dass es die Stadt gab, und die Brücke, die sie nun wie eine lange Nabelschnur mit dem Festland verband, beendete für alle unübersehbar diesen Zustand. Doch die Brücke war mehr. Die Eisenbahn stand für die aufkommende Industrialisierung, für den Qualm der Dampfmaschinen, für die Fabriken, die schon bald auch in Venedig die überkommenen Bauten verdrängen würden. Das fürchtete zumindest Ruskin, dessen dreibändiges Werk Stones of Venice den verzweifelten Versuch darstellt, Venedig zumindest auf dem Papier zu erhalten. Seine Befürchtungen haben sich glücklicherweise nur teilweise bewahrheitet. Möglich aber, dass er irgendwann doch Recht behalten wird.
Erst viel später bekam die Eisenbahnbrücke eine Straße zur Seite gestellt. Sie gehörte zu den zahlreichen Infrastrukturprojekten der italienischen Faschisten, und so war es Mussolini selbst, der sie im Jahr 1933 als Ponte Littorio (Liktorenbrücke) einweihte. Die Liktoren waren die Amtsdiener (Leibwachen) hochrangiger römischer Beamter. Mit ihren Rutenbündeln, in denen ein Beil steckte, machten sie ihnen den Weg frei. Diese Bündel waren zu Symbolen der italienischen Faschisten geworden, so dass die Brücke nach dem zweiten Weltkrieg in Ponte della Libertà (Brücke der Freiheit) unbenannt wurde. Geläufig ist auch der Name Ponte Vecchio (alte Brücke) für die Eisenbahntrasse und Ponte Nuovo (neue Brücke) für die daneben verlaufende Straße.
Nun kann man sich heute kaum mehr vorstellen, welche Veränderungen diese Brücken mit sich brachten. Plötzlich war Venedig für jedermann schnell erreichbar. Heute rumpeln Regionalbahnen und Hochgeschwindigkeitszüge in schneller Folge in den Bahnhof Santa Lucia hinein und schaffen alle heran, die nicht mit dem Flugzeug anreisen.
Der jetzige Bahnhof ist ebenfalls ein Ergebnis der faschistischen Baupolitik, wurde aber erst nach dem Krieg, im Jahre 1952, endgültig fertiggestellt. Der Name Santa Lucia ist eine Reminiszenz an die alte Pfarrkirche, die an eben dieser Stelle stand und 1861 abgerissen wurde. Trotz ihres historischen und architektonischen Wertes – sie war 650 Jahre alt und Palladio höchstselbst soll an ihrem letzten Umbau Ende des 16. Jahrhundert Hand angelegt haben – musste sie der Eisenbahn weichen, der Moderne also, die mit aller Macht nach Venedig drängte. Vermutlich meinte man, genug Kirchen zu haben und auf diese weniger berühmte verzichten zu können. Heute erinnert nur ein Gedenkstein in der Mitte des Bahnhofsvorplatzes an sie.
Mit dem Auto nach Venedig zu kommen, ist dagegen eher unüblich, trotz der Parkhäuser, die über die Jahre in Tronchetto entstanden sind. Tronchetto ist Venedigs „Park“insel, ein Name, der dem Abstellen von Fahrzeugen geschuldet ist und nicht etwa dem Vorhandensein von Bäumen und Grünflächen. Der Platz in diesen Parkhäusern ist sehr begrenzt, und die Preise sind astronomisch. So ziehen es viele Autotouristen vor, ihr Fahrzeug in Mestre oder einfach vor der Stadt am Rand einer Straße abzustellen und dann mit Zug, Bus oder Straßenbahn hineinzufahren. Das ist nicht zu empfehlen, denn die Polizei führt neuerdings einen regelrechten Feldzug gegen das wilde Parken, das jahrelang alle Zufahrtstraßen blockiert hat.
Seit einiger Zeit gibt es aber auch Parkhäuser und Parkplätze auf dem Festland. Man findet sie entlang der SR11, also auf der Fortsetzung der Brücke, die nach Venedig führt. Hier kann man günstig sein Auto abstellen. Zu empfehlen ist zum Beispiel der Parcheggio Terminal. Der Bus nach Venedig hält direkt am Kassenbereich.
Ich selbst habe Ende der siebziger Jahre in einem der altehrwürdigen Parkhäuser am Piazzale Roma mein Fahrzeug abgestellt, als ich mich auf einer Italienreise spontan zu einem Venedigbesuch entschloss. Ich glaube, es war das San Marco Venezia. Nicht ahnend, dass man selbst für ein Motorrad mehr Geld als für eine Hotelübernachtung hinlegen muss. Diese mehrstöckigen Gebäude wurden Garagen genannt, und es gab Angestellte, die die Autos am Eingang in Empfang nahmen, um sie hineinzufahren. Die Wagen standen dann Tür an Tür, Stoßstange an Stoßstange, um auch den letzten Winkel der gewölbeartigen Hallen auszunutzen. Je nachdem, wie viele Tage man blieb, mussten mehr oder weniger Autos hin und her rangiert werden, um an sein Fahrzeug zu kommen. Ein für den Außenstehenden undurchsichtiges System, das die Angestellten aber virtuos beherrschten.
Genauso war Ernest Hemingway 1948 in die Stadt gekommen. Er hatte seinen himmelblauen Buick vor einer der beiden Garagen anhalten lassen, war mit Frau und italienischer Übersetzerin unverzüglich zur nächsten Bar geschritten, um sich diverse Flaschen Prosecco servieren zu lassen, während sein Fahrer das Gepäck auslud und auf ein Boot schaffte, das es zum Hotel Gritti brachte.
So stilecht kommt man heutzutage nicht mehr an, zumal sich kaum jemand mehrere Flaschen Prosecco in einer Bar oder gar eine Übernachtung im Gritti leisten wird.
Auf dem Piazzale Roma befindet sich der Busbahnhof, und auch die neue Tram hat dort ihre Endstation. Sie verkehrt seit dem Jahr 2010 zwischen Venedig und dem Festland. Ein futuristisches Gefährt, Zwitter aus Straßenbahn und Oberleitungsbus, das eine einzelne Führungsschiene hat, aber auf Reifen fährt und durch einen Abnehmer auf dem Dach mit Strom versorgt wird. Es basiert auf dem französischen Translohr-System, und so heißt es auf Französisch Tramway sur pneumatiques, was Straßenbahn auf Luftreifen bedeutet. Ob dieses exotische Verkehrssystem einen nennenswerten Beitrag zur Anbindung der Stadt leistet, ist zweifelhaft. Es fährt selten und ist meistens leer.
Doch Venedig ist gegenüber Experimenten moderner Mobilität aufgeschlossen. Das mag daran liegen, dass es in der Stadt selbst keine Straßen gibt und somit dort auch keine Straßenfahrzeuge verkehren können. Alles muss auf Booten transportiert werden. Der öffentliche Personenverkehr obliegt den Wasserbussen.
Die Gondeln haben eine eher folkloristische Funktion, sieht man von einzelnen sogenannten Traghetti ab, Fährgondeln, die den Canal Grande kreuzen. Für 2 Euro kommt man hier in den Genuss einer echten, wenn auch kurzen Gondelfahrt, muss aber auf Gesang, traditionell gekleidete Gondolieri und auch auf plüschige Sitzgelegenheiten verzichten. Im Gegenteil, der echte Venezianer steht in der Gondel und würde sich um keinen Preis der Welt irgendwo festhalten oder gar hinsetzen. Eine Regel, die nur von den über 80-jährigen manchmal durchbrochen wird und vom Jahrhunderte alten Erbe einer stolzen Seefahrernation zeugt.
Neuerdings gibt es sogar konkrete Planungen, eine U-Bahn (!) zu bauen. Sie soll unter anderem vom Flughafen zum Markusplatz fahren. Kaum vorstellbar, wie sie unter die Stadt geführt werden soll, wie hochwasserfeste Stationen zu errichten sind, welche Auswirkungen umfangreiche Grabungen auf dieses hochsensible Ökosystem hätten. Man ist geneigt zu hoffen, dass auch dieses Megaprojekt, wie so viele andere dieser Art in Italien, irgendwo versandet, sei es im wörtlichen, sei es im übertragenen Sinne.
So absurd diese Idee auf den ersten Blick erscheint, so alt ist sie. Nicolò Spada entwarf bereits im Jahre 1911 sein Projekt einer Lagunen-Bahn. Sie sollte „die Inseln“ anbinden. Damit waren die Giudecca und der Lido gemeint. Der Corriere della Sera titelte damals begeistert: „Ein unterseeischer Tunnel – von San Marco zur Giudecca und zu den Quattro Fontane di Lido in viereinhalb Minuten!“
Heute fahren vom Flughafen nur diverse Busse zur einzigen großen Übergabestation der Stadt, dem bereits erwähnten Piazzale Roma. Da gibt es zum einen die Linie 5 der venezianischen ACTV, dem kommunalen Nahverkehrsunternehmen. Sie hält allerdings recht häufig und braucht gut 20 Minuten für die kurze Strecke. Vor wenigen Jahren konnte man sie noch mit einem normalen Busticket benutzen. Das waren wenig mehr als zwei Euro. Heute heißt sie Aerobus und kostet acht. Die gleiche Strecke, die gleiche Fahrtzeit, jetzt allerdings mit neuen, hochmodernen Bussen, die an den Haltestangen USB-Ladebuchsen haben, an denen man sein elektronisches, von der Flugreise ausgelaugtes Equipment wieder aufladen kann. Aber es sind Linienbusse, und sie können darüber nicht hinwegtäuschen, dass sie nicht für Passagiere mit großem Gepäck konzipiert wurden. So stehen überall Koffer und Taschen im Wege, was zu manch einem Missgeschick führt, wenn ein Koffer lautstark umfällt oder auf seinen Rollen quer durch den Bus schlittert. Dafür steigen hier auch normale Venezianer ein und aus, alte Männer mit ihren Rollatoren und Frauen, die vom Einkaufen kommen. Wer auf dieses Flair verzichten kann, fährt mit den komfortableren und schnelleren Reisebussen der privaten Konkurrenz.
Die schönste, aber auch teuerste Art vom Flughafen in die Stadt zu fahren, ist fraglos das Wassertaxi, das bevorzugte Verkehrsmittel der Reichen und Schönen. Es ist tatsächlich ein Taxi mit einer ordnungsgemäßen Taxinummer, lässt sich aber preislich nicht annähernd mit einem normalen Taxi vergleichen. Eine einfache Fahrt schlägt mit 120 bis 150 Euro zu Buche. Will man zum Lido, werden daraus durchaus auch 200. Nur fliegen wäre teurer, einen Heliport hat Venedig aber nicht. Es gibt allerdings einen kleinen Sportflughafen auf dem Lido. Bleibt das Schnellboot von Alilaguna, das ungefähr das Doppelte der Busse kostet. Allerdings kommen für jedes Gepäckstück weitere Gebühren hinzu. Wer will, kann zusätzlich etwas für das bedrohte Venedig spenden.
Doch natürlich haben die Taxiboote ihr eigenes Flair. Sie gehören zu Venedig wie die Tauben zum Markusplatz. Seit Jahrzehnten unverändert kommen sie meist von der Werft Serenella, die wenig mehr als einen Kilometer vor der Stadt liegt. Um die 200 Boote sollen insgesamt in der Stadt verkehren. Ein echter Venezianer würde allerdings niemals seinen Fuß in ein solches Boot setzen. Sie sind für die Touristen gedacht, die die hohen Preise und das teils überhebliche, teils unverschämte Gehabe ihrer Fahrer akzeptieren. Manch ein zugezogener Promi wie Elton John lässt sich ausschließlich mit „seinem“ Boot chauffieren. Es ist die Colombina, das Täubchen, das von seinem Besitzer liebevoll täglich poliert und regelmäßig lackiert wird. Ein gut gepflegtes Taxiboot bringt 200.000 Euro Umsatz im Jahr, so wird gemunkelt.
Die Boote werden in Handarbeit im Stil einer klassischen Holzjacht gefertigt. Vom Konzept her sind es Tender mit Fahrer und haben eine versenkbare Heckscheibe und ein Glasdach, das sich elektrisch öffnen lässt. Von weitem ähneln sie einer typischen Riva, sind aber wesentlich größer (neun Meter lang und mehr als zwei Meter breit). Das dunkle, glänzende Holz der Planken ist allerdings nur Furnier. Es besteht aus sapelli, einem mahagoniähnlichen Holz. Das Armaturenbrett ist ein Wunderwerk aus Chrom und Wurzelholz und erinnert an das eines alten Rolls Royce. Ebenso einmalig und handgefertigt sind Lenkrad, Türgriffe, Scharniere, Fensterrahmen, Flaggenstöcke und zahlreiche andere Details. Wenn man auf der Webseite des Cantiere Motonautico Serenella nach Preisen forscht, findet man die Information, dass sie bei xxx.xxx Euro (sic!) beginnen. Genaueres gibt es nur per E-Mail.
Wer schlau ist oder sich für schlau hält und die hohen Parkgebühren in den Parkhäusern Tronchettos einsparen möchte, nimmt die Autofähre zum Lido. Diese verkehrt stündlich und bringt einen zur langgestreckten Insel, die Venedig vorgelagert ist und die Lagune zur Adria hin abschließt. Der Lido ist schmal, aber so lang, dass man schon bald auf einen kostenlosen Parkplatz am Straßenrand stößt. Dort stellt man sein Auto ab und fährt gut gelaunt in zwanzig Minuten mit dem Vaporetto in die Stadt zurück. Klingt perfekt, hat aber einige Haken. Zum einen sind die Fährpreise so hoch, dass sich nur mehrtägige Aufenthalte lohnen. Zum anderen sind die Fähren manchmal so überlastet, dass man mehrere Stunden an der Verladestation warten muss. So lohnt sich dieser „Trick“ hauptsächlich, wenn man seine Tage vor allem auf dem Lido verbringen möchte. Mit dem eigenen Auto sind auch längere Strecken kein Problem und Ansiedlungen wie Malamocco oder Alberoni lassen sich bequem besuchen. Orte, zu denen der normale Venedigbesucher kaum vorstößt.
Wenn wir schon bei den Verkehrsmitteln sind, lassen Sie mich der Vollständigkeit halber auch die Gondel erwähnen. Zunächst ein Tipp: Sagen Sie niemals schwarze Gondel. Gondeln sind schwarz, immer und überall. Genauso gut und genauso sinnlos könnten Sie Rappen als schwarz bezeichnen oder Schimmel als weiß. Gondeln müssen schwarz sein, sozusagen per Gesetz. Das hat natürlich eine Vorgeschichte.
Lange waren flache Boote unterschiedlichster Art das wichtigste Verkehrsmittel in der Stadt. Im 16. Jahrhundert soll es mehr als 10.000 davon gegeben haben. Ähnlich wie im 20. Jahrhundert die Autos galt ein luxuriös ausgestattetes Boot als Statussymbol für die zahlreichen Adels- und Patriziergeschlechter. So überbot man sich gegenseitig mit kostbaren Hölzern, Bezügen und Ausstattungen. Die Boote waren bunt, sie waren vergoldet und versilbert, mitunter mit Edelsteinen besetzt. Es entwickelte sich ein regelrechter Wettbewerb nach möglichst kostbaren Booten, ein Wettbewerb, der immer mehr Ressourcen band, die woanders fehlten. So sah sich der Senat im Jahr 1562 veranlasst, ein sogenanntes Aufwandsgesetz zu verabschieden, das eine einheitliche schwarze Ausstattung für alle Gondeln vorsah. Von nun an war es per Strafe verboten, in einem protzigen Gefährt durch die Kanäle der Stadt zu gleiten.
Die jetzige Form bekamen die Boote allerdings erst mit dem ausgehenden 19. Jahrhundert. Sie sind ungefähr 11 Meter lang und 1 Meter 40 breit. Das Boot ist in sich gekrümmt, so dass es von einem einzelnen Ruderer vorwärtsbewegt werden kann. Er steht hinten auf der Backbordseite und taucht das meterlange Ruder steuerbords ein, eine seltsame und schwer zu erlernende Bewegung, die aber sehr effektiv ist.
Den Bug des Fahrzeugs schmückt ein schwerer Metallbeschlag, ferro di prua genannt. Er besteht aus einem Horn, das die Kopfbedeckung der Dogen symbolisieren soll und sechs Zacken, die üblicherweise als die sechs Stadtteile Venedigs (sestieri) interpretiert werden. Seit einigen Jahren müssen die Gondeln eine Art Nummernschild tragen. Die Boote werden in einigen wenigen Werften der Stadt noch immer per Hand gefertigt und kosten um die 25.000 Euro.
Das ist vielleicht der Grund für die Preise, die für eine halbstündige Gondelfahrt aufgerufen werden. Diese liegen bei 80 bis 100 Euro, und darin ist oft nicht einmal der Gesang des Gondolieres inbegriffen. Ob jemand in einem Plüschsessel von einem mit Ringelhemd und Strohhut bekleideten Sänger durch die Stadt chauffiert werden möchte, muss jeder für sich selbst entscheiden. Chinesische und japanische Besucher scheinen davon so begeistert zu sein, dass sich in manchen Ecken der Kanäle regelrechte Staus bilden. Dann werden die Selfie-Stangen ausgefahren, um das romantische Treiben ausgiebig zu dokumentieren.
Eine bessere und viel günstigere Möglichkeit eine Gondelfahrt zu erleben, bilden die bereits erwähnten Traghetti, mit denen man für 2 Euro den Canal Grande überqueren kann. Einheimische bezahlen 70 Cent.
Wirklich unverzichtbar für die Fortbewegung in Venedig sind die Vaporetti. Suggeriert ihr Name, sie seien von Dampfmaschinen angetrieben, so ist dies nur ein Überbleibsel aus vergangenen Tagen.

Der erste Vaporetto war die Regina Margherita. Im Jahre 1881 nach der italienischen Königin benannt und vom Stapel gelaufen, begründete er den öffentlichen Personentransport in der Lagunenstadt. Er sah damals bereits den heutigen Wasserbussen ähnlich, hatte einen offenen Aufbau und wurde, wie es der Name nahelegt, von einer Dampfmaschine angetrieben.
Nach diesem geglückten Experiment erhielt die französische Firma Compagnie de Bateaux Omnibus die Lizenz für den Betrieb der ersten Linie, die durch den Canal Grande führte. Die ersten acht „echten“ Vaporetti wurden im französischen Rouen gebaut und auf dem Seeweg nach Venedig geschafft. Sie durchfuhren selbständig den Canal du Languedoc, umrundeten Italien und kamen nach einer tagelangen Fahrt schließlich in der Lagunenstadt an.
Von den Gondolieri als bedrohliche Konkurrenz erbittert bekämpft, wurden sie von der Bevölkerung begeistert aufgenommen. Zu offensichtlich waren die Vorteile dieses modernen Transportmittels. Den Nachteil, die allgegenwärtigen Rauch- und Dampfwolken auf dem Canal Grande der Belle Époque, nahm man dafür in Kauf.
Obwohl die dampfangetriebenen Busse im letzten Jahrhundert nach und nach durch dieselbetriebene ersetzt wurden, ist die Kritik an deren Beitrag zur Luftverschmutzung nicht verstummt. Heute gibt es 160 davon, sie verkehren überall in der Stadt und zu allen größeren Inseln, bedienen gut 30 Linien und halten an einem der 150 Anleger (embarcadero), die überall in der Stadt im Wasser schaukeln. Die Betreibergesellschaft ACTV wirbt neuerdings mit umweltfreundlichem Diesel aus Speiseöl, und die ersten Versuche mit elektrischen Wasserbussen haben begonnen. Bis diese die gegenwärtige Serie 90 ablösen, werden allerdings noch Jahre vergehen.
Obwohl die Vaporetti meist überfüllt sind, zum Stehen zwingen und heftig schaukeln, gibt es kaum eine bessere Möglichkeit, die Stadt zu erkunden. Es geht nur gemächlich voran. Von einem Ende zum anderen dauert es länger als eine Stunde, aber nur hier ist man mit den Venezianern auf Tuchfühlung, kann sich von ihnen zurechtweisen lassen, wenn man irrtümlicherweise die für Senioren reservierten Sitze besetzt oder im Winter die Zwischentür zum geschlossenen Fahrgastraum offenstehen lässt. Es sind meist alte Menschen, die noch in der Stadt leben. Die jüngeren hat es längst nach Mestre oder noch weiter weg verschlagen.
An dieser Stelle soll allerdings nicht verschwiegen werden, dass die Vaporetti die teuersten öffentlichen Verkehrsmittel der Welt sind. Die einfache Fahrt kostet 9,50 Euro. Und so kommt mancher Tourist auf die Idee, entweder schwarz zu fahren oder alle Strecken zu Fuß zurückzulegen. Beides ist keine gute Idee. Gegen das eine spricht, dass die Wasserbusse streng kontrolliert werden, gegen das andere, dass Venedig viel weitläufiger ist, als manch einer denkt. Von den vielen Kanälen ganz zu schweigen, die zu Umwegen zwingen oder trockenen Fußes gar nicht zu überwinden sind.
Im neunzehnten Jahrhundert, als die Welt noch einfacher war, hat der Venezianer die Touristen in zwei Kategorien unterteilt: Den tedesco, also den Deutschen, und den inglese, Amerikaner oder Engländer, im Grunde jeden, der kein tedesco war. William Dean Howells führt in seinem Klassiker Leben in Venedig den Unterschied folgendermaßen aus: „Der inglese zeigt sich schnell bereit, mit einer Gondel durch die ganze Stadt zu fahren und am Ende ein anständiges Trinkgeld zu geben, während der tedesco aus Sparsamkeit zu jedem Ort, der irgendwie auf dem Landweg erreichbar ist, zu Fuß geht.“ Die dritte Sorte, der Italiener aus der Provinz, der „wütend um ein Boot feilscht, und es gewöhnlich noch unter Tarif entlohnt“, wollen wir an dieser Stelle unerwähnt lassen.
Und den tedesco gibt es noch immer. Der Fahrpreis kommt ihm unverschämt vor, die reinste Touristenabzocke, und so geht er unverdrossen zu Fuß, muss aber am zweiten oder spätestens dritten Tag nach einem täglichen Pensum von 15 bis 20 Kilometern doch klein beigeben.
Machen Sie es also wie die Einheimischen, auch wenn diese subventionierte Tickets haben. Benutzen Sie den Vaporetto so oft wie möglich. Nur so lernen Sie die Stadt kennen, nur so kommen Sie in die entlegensten Winkel und zu den abgelegensten Inseln. Die gute Nachricht ist: Es gibt Tagespässe für die ACTV, sogar eine ganze Woche lässt sich für 65 Euro en bloc kaufen. Weitere Tarife: 25 Euro für 24 Stunden, 35 Euro für 48 Stunden, 45 Euro für 72 Stunden. Damit kann man im angegebenen Zeitraum unbegrenzt mit dem Vaporetto fahren. Kein Schnäppchen, aber auch nicht unerschwinglich.
Der Aerobus vom Flughafen Marco Polo in die Stadt kostet übrigens 10 Euro (einfache Fahrt) bzw. 18 Euro (hin und zurück). Wer man direkt nach Murano möchte, nutzt am besten den Service der Alilaguna (ebenfalls 10 Euro).
Und überlassen Sie die Gondeln und die Gondolieri ruhig den Touristen aus Übersee. Die gab es zwar im neunzehnten Jahrhundert noch nicht, man hätte sie damals aber zweifellos den inglesi zugeschlagen. Sie sind, modern ausgedrückt, wenig preissensitiv.
Wer dennoch eine private Fahrt mit einer Gondel unternehmen möchte, sollte nicht mehr als 100 Euro für eine halbe Stunde bezahlen. Das ist der derzeit gültige „offizielle“ Preis. Wenn Sie die Gondel mit anderen (fremden) Gästen teilen, wird es billiger (ca. 30 Euro pro Person).
Einheimische zahlen in Venedig einen anderen Tarif für die öffentlichen Verkehrsmittel als Auswärtige oder gar Touristen. So mancher Venedig-Besucher hat sich schon gefragt, ob und wie er davon profitieren kann. Ist das möglich? Die Antwort ist ein klares Jein!
Auch Personen, die nicht ständig in Venedig wohnen, können eine Venezia Unica Card erhalten. Sie kostet bis zu 100 Euro und ist fünf Jahre gültig. Allerdings benötigt man dafür eine italienische Steuernummer (Codice Fiscale) und eine italienische Mobilfunknummer zur Verifizierung. Beides ist für Ausländer eine kaum zu überwindende Hürde. Finanziell profitieren würde ohnehin der „Heavy User“. Bei einem Wochenendtrip pro Jahr lohnt sich das Ganze nicht.
Anders sieht es aus, wenn man sich mehrere Wochen, Monate oder länger in Venedig aufhält. In diesem Fall kann man sich als vorübergehender Einwohner registrieren lassen. Dazu muss man aber entsprechende Nachweise von Schule, Universität oder Arbeitgeber vorlegen und seine Adresse in der Stadt angeben. Dann kann man für 1,40 Euro mit dem Vaporetto fahren oder eine Monatskarte für 25 bis 37 Euro erwerben – Preise, die für den normalen Touristen ein Traum bleiben.
Venedig ist eine insgesamt sichere Stadt. Man kann sich zu jeder Tages- und Nachtzeit überall frei bewegen. Wie in jeder Touristenhochburg blüht aber auch hier die Kleinkriminalität. Vor allem Taschendiebstähle und kleinere Betrügereien sind an der Tagesordnung. Achten Sie daher auf Ihre Wertsachen und tragen Sie keine teuren Uhren etc. zur Schau. Vorsicht ist auch im Umgang mir den zahlreichen illegalen Straßenhändlern geboten.
Im 18. Jahrhundert gab es in Venedig eine besondere Regelung. Ein Taschendieb, konnte seine Beute der Polizei übergeben. Wenn der rechtmäßige Besitzer innerhalb von 14 Tagen keinen Anspruch darauf erhob, ging das Diebesgut offiziell und rechtmäßig in den Besitz des Diebes über. Unnötig zu erwähnen, dass es sich bei den Opfern vorzugsweise um Auswärtige handelte, die diesen ‚Brauch ‘ nicht kannten. Von dieser Regelung profitierten die „ladri di destrezza“, besonders geschickte und fingerfertige Diebe. Heute hingegen gilt die destrezza als strafverschärfendes Merkmal des Diebstahls. Hoffen wir auch, dass diese merkwürdige Vereinbarung den Übergang in die Neuzeit nicht überlebt hat.